Jugendstil eine Epoche

Der Jugendstil war eine kunsthistorisch eher kurze, aber sehr lebendige Epoche.  Er entstand in Europa in einer bereits globalisierten Welt und konnte sich daher schnell verbreiten. In den Jahren um 1900 blühte er auf allen Kontinenten.

Arts and Crafts Movement

Ein Impuls ging vom Arts and Crafts Movement („Bewegung für Kunst und Handwerk“), ca. 1870 bis 1920 in England aus, wo einige Künstler der als „seelenlos“ empfundenen maschinellen Produktion die Schönheit handwerklich hergestellter Werke entgegenstellen wollten. Diese Bewegung wollte Kunst, Handwerk und Leben vereinen. Ein neuer Stil sollte geschaffen werden. Die daraus entstandene Form des englischen Jugendstils wird in England Art Nouveau, auch Modern Style genannt.

In Frankreich und in Belgien, wo dieser Stil sich in besonders schwungvollen Formen entfaltete, heißt er ebenfalls Art Nouveau. In Italien wurde er Stile floreale und Stile Liberty genannt. Auf Spanisch heißt er Modernismo, in Katalonien und auf den Balearen Modernisme.

Seine Bezeichnung im deutschen Sprachraum geht auf die 1895 in München gegründete illustrierte Kulturzeitschrift „Jugend“ zurück.

Jugendstil in Österreich

Seine Zeit in Österreich begann mit der Gründung der Wiener Secession 1897. Eine Gruppe junger Künstler (Gustav Klimt, Koloman Moser, Josef Hoffmann, Joseph Maria Olbrich, Max Kurzweil, Josef Engelhart, Ernst Stöhr, Wilhelm List, Adolf Hölzel und andere) traten aus der „Gesellschaft bildender Künstler Österreichs, Künstlerhaus“ aus und gründeten ihre eigene Künstlervereinigung „Secession“ (von. lat. secessio, „das Abseitsgehen“, „politische Spaltung, Trennung“). Daher wird der Jugendstil in Österreich auch Secessionismus oder Secessionsstil genannt. (Davon leitet sich auch die tschechische Bezeichnung für den Jugendstil – Secesion– her). Diese Vereinigung gründete die Kunstzeitschrift „Ver Sacrum“ („Heiliger Frühling“). Eine Benennung, die wie „Jugend“ eine Aufbruchsstimmung, einen Neuanfang signalisierte. In der gesamten Österreich-Ungarischen Monarchie verbreitete sich dieser Stil. Er fand auch großen Anklang in Osteuropa, in Skandinavien, im Baltikum und in Russland.

Die Epoche des Jugendstils endete in Österreich mit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 und der Gründung der Ersten Republik 1919.

Historismus

Der Historismus, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts der prägende Stil, suchte seine Vorbilder in den Stilen vergangener Jahrhunderte (z.B. Romanik, Gotik, Renaissance, Barock) und verwendete ihr Formenrepertoire für anstehende Bauaufgaben. Bekannte Wiener Beispiele sind die berühmten Gebäude der Ringstraße. Für das Rathaus und die Votivkirche wurde der gotische Stil gewählt, und daher neugotische Gebäude errichtet. Das Parlament, das Haus der Demokratie, hatte den klassischen griechischen Stil als Vorbild. Die Universität und die Börse waren von der italienischen Renaissance inspiriert, die Staatsoper wurde ein originelles Konglomerat verschiedener Stile.

Der Jugendstil war eine Revolte einer jungen Künstlergeneration gegen diesen Historismus, der sich „totgelaufen“ hatte. Diese Generation suchte Neues.

Japanischer Einfluss auf den Jugendstil

Bedeutende Anregungen kamen aus Japan. Große Ausstellungen japanischer Kunst fanden 1854 und 1862 in London statt. Als Folge eines 1858 geschlossenen Handelsabkommens Großbritanniens mit Japan kam japanisches Kunsthandwerk nach Europa. Das japanische Kaiserreich nahm an der Wiener Weltausstellung 1873 teil, präsentierte seine Kunst und sein Kunsthandwerk einem begeisterten Publikum. Auch auf den Pariser Weltausstellungen von 1878, 1889 und 1900 war Japan mit Architektur, Grafik und Keramik vertreten. Die von der Begegnung mit der japanischen Kunst angeregten Werke europäischer Künstler, der „Japonismus“, floss in die Jugendstilbewegung ein.

Aus Japan kam etwa die Neigung zu asymmetrischen Kompositionen, die freie Schönheit der geschwungenen Linie, starke Farbkontraste, Fläche statt Tiefe, der leer gelassene Raum im Zentrum. Der japanische Farbholzschnitt inspirierte die europäische Graphik.

Weitere Einflüsse auf den Jugendstil

Die byzantinische Kunst mit ihren Goldmosaiken, wie sie etwa Gustav Klimt auf einer Italienreise in Ravenna 1903 kennenlernte, gab der Kunst des Jugendstils wichtige Impulse.

Weitere Anregungen brachten Werke der Volkskunst, deren Fantasie und Farbigkeit die Künstler beeindruckten. Emilie Flöge, die mit ihren Schwestern in Wien einen Modesalon führte, sammelte bunt bestickte und mit Spitzen verzierte Textilien, etwa aus der Westslowakei.

Ein neuer Blick auf die Natur inspirierte Kunst und Kunsthandwerk.  Kurvig geschwungenen Pflanzenstängel und Blätter waren ein beliebtes Dekormotiv. Auch Darstellungen von Tieren finden sich häufig. Einige Tierarten lieferten gern verwendete Zierformen, etwa der Flamingo und der Schwan.

Eine befreite Erotik war – wie die Befreiung des Frauenkörpers vom Korsett – ein Anliegen vieler Menschen in dieser Zeit; in der Kunst des Jugendstils war diese Erotik meist verkörpert durch die Darstellung graziler junger Frauen und junger Männer in Malerei und Plastik. Von vielen Hausfassaden blicken die Gesichter junger Frauen auf den Betrachter.

Aufbruch in Europa

Der Jugendstil entstand in mehreren europäischen Ländern gleichzeitig als Aufbruchsbewegung, die Malerei, Graphik, Bildhauerei, Architektur, sowie alle Arten des Kunsthandwerkes, der „Angewandten Kunst“ (Keramik, Glas, Metallarbeiten, textile Arbeiten, Buchkunst, Gartengestaltung etc.) umfassen sollte.

Jugendstil in Wien

In Wien setzte die Epoche des Jugendstils 1897 mit der Gründung der Wiener Secession ein, die ihren den Stil prägenden Ausstellungspavillon am Karlsplatz von Joseph Maria Olbrich errichten ließ. Der Wiener Jugendstil blühte also in der letzten Phase der Monarchie auf. In dieser Epoche war Wien ein Zentrum künstlerischer und geistiger Kräfte, die auch auf literarischem, musikalischem und wissenschaftlichem Gebiet Neues hervorbrachten. Viele Begabungen aus der ganzen Monarchie kamen in Wien zusammen.

Wiener Werkstätte

Der Jugendstil war wie in England auch auf dem Kontinent eine Reaktion auf die industrialisierte Herstellung von Gebrauchsgegenständen. Feines Kunsthandwerk wurde der Massenware entgegengesetzt. Zu ihrer Herstellung wurde 1903 die „Wiener Werkstätte“ gegründet. Ihre Produkte waren kostspielig und daher nur für eine wohlhabende, gleichzeitig dem Neuen aufgeschlossene Käuferschicht erschwinglich. Aber auch günstiger produzierende Hersteller übernahmen nach und nach für ihre Produktionen Jugendstilformen.         

Das Ende des Jugendstils

Über den wachsenden Erfolg der neuen Bewegung erzählt Koloman Moser in seinen Lebenserinnerungen:

Die Epoche des Jugendstils endete in Österreich mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs. Einige der bedeutendsten Künstler starben 1918: die Maler Gustav Klimt, Egon Schiele und Koloman Moser, der Architekt Otto Wagner u.a.. Dagobert Peche, einer der fantasievollsten Entwerfer der Wiener Werkstätte, starb 1923. Joseph Maria Olbrich, der den Aufbruch der Wiener Secession wirkungsvoll mitgestaltet hatte, war 1900 nach Darmstadt gezogen und dort 1908 gestorben.

Die 1919 gegründete Erste Republik war mit neuen Bauaufgaben konfrontiert.

Die nur etwa zwanzig Jahre währende Epoche des Wiener Jugendstils war daher für viele Künstler und Architekten nur eine von mehreren Phasen ihres Schaffens. Viele von ihnen hatten – wie etwa Otto Wagner – zuvor historistische oder klassizistische Formen verwendet. Als der Stil der Secession breitere Anerkennung fand, wandten sich viele Architekten ihm zu. Nach dem Ende der Jugendstil-Epoche wurden andere künstlerische und stilistische Wege beschritten, sie führten zu Neoklassizismus, Art Deco, neuer Sachlichkeit, Expressionismus, auch zu einem schmucklos-modernen Stil in der Architektur, wie ihn Adolf Loos propagierte. Viele Architekten, die mit Erfolg die Schmuckformen des Jugendstils verwendet hatten, entwarfen nun schlichte Wohnhausanlagen im Auftrag des „Roten Wien“, z. B. Josef Beer, Robert Oerley  und Ernst Lichtblau.

Nicht alle Gebäude, die in jener Epoche entstanden, wurden mit dem stilistischen Vokabular des Jugendstils geziert. Dem Geschmack mancher Bauherren blieb dieser Stil fremd, sie wünschten immer noch Wohnhäuser in klassizistischen oder historischen Stilformen. Auch der Heimatstil mit seinen regionalen rustikalen Elementen hatte viele Anhänger.

Zeitgleich mit vielen Jugendstilbauten errichtete Adolf Loos seine konsequent schmucklosen Häuser, die bereits in die Moderne wiesen.

Der Jugendstil fand in Österreich-Ungarn vor allem beim wohlhabenden Bürgertum Anklang; im Wohnbau, auch für Kirchen, Verkehrsbauten und Theater, Hotels und Heilanstalten wurde er gern verwendet. Das habsburgische Herrscherhaus dagegen stand diesem Stil, der sich vom Traditionellen so deutlich abwandte, reserviert bis ablehnend gegenüber.

Nach 1918 hatten die Werke des Jugendstils mit mangelnder Anerkennung zu kämpfen. Der Moderne war er zu ornamental. Nationalistisch Gesinnten war er zu wenig heimatverbunden, zu international. Vielen war er auch zu „dekadent“.

Für die Nationalsozialisten war er ein „jüdischer Stil“. In anderen Ländern galten Werke dieses Stils dagegen als Teil des nationalen Erbes (z. B. in Prag) oder als Teil der eigenen Kunstgeschichte, auf den man stolz sein konnte (z. B. in Frankreich und Belgien). So setzte die Akzeptanz dieses Stils und damit der Schutz seiner Werke in Österreich erst in den 1980er Jahren ein. 1) Die Ausstellung „Traum und Wirklichkeit, Wien 1870 bis 1930“ im Wiener Künstlerhaus 1985 machte die Kunst jener Zeit wieder populär.

Die Jugendstilepoche, deren Künstler sich als Avantgarde eines Aufbruchs, eines Neubeginns verstanden, erscheint nun im Rückblick als letztes künstlerisches Aufleuchten einer alten Welt, die mit dem Ersten Weltkrieg unterging.

Literatur:

Kathrin Pallestrang, Die Textilmustersammlung Emilie Flöge im Österreichischen Museum für Volkskunde. Wien 2015, S. 15

1)Peter Schubert, Unbekannter Jugendstil in Wien, S. 126.